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Nach
dem vereitelten Putschversuch von Freitagnacht scheint die Türkei auf eine
düstere Zukunft zu blicken. Zu Beginn der Entwicklungen gab eine Gruppe
innerhalb des Militärs eine Erklärung ab, in der sie die Machtübernahme des
Landes verkündete. Dies geschehe zur Wiederherstellung der Demokratie und zum
Schutz der Menschenrechte, welche unter dem aktuellen autokratischen
Führungsstil des Machthabers Erdogan gefährdet seien, deklarierten sie.
Tatsächlich
zeugen die politischen Entwicklungen der letzten Monate von allem anderen als
von einer stabilen Demokratie. Vor der Parlamentswahl im November vergangenen
Jahres, bei der die AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan die absolute
Mehrheit erhielt, hatte die Partei einen Großteil der Sendezeit öffentlicher
Fernsehsender für sich beansprucht. Mit einem propaganda-ähnlichen Wahlkampf
erlangte der Präsident eine Art Kultstatus in der Bevölkerung. Internationale
Beobachter berichteten nach der Wahl von Manipulationen.
Zuvor
hatte Erdogan die jahrelange Waffenruhe zwischen kurdischen Gruppen und der
türkischen Regierung aufgehoben. Die Bombardierung kurdischer Ziele begründete
er mit einem Vorgehen gegen die Terrormiliz IS und gegen andere Staatsfeinde.
Nach der gewonnenen Wahl begann Anfang des Jahres eine Welle von Inhaftierungen
regierungskritischer Journalisten. Unabhängige Medieneinrichtungen wurden zunehmend unter
Druck gesetzt. Schon seit einiger Zeit plant Erdogan die
Einführung eines Präsidialsystems. Sein jüngster Schritt in Richtung dieses
Vorhabens war eine Verfassungsänderung, die regierungsfernen Abgeordneten die
Immunität entzog.
Im
Laufe der Nacht des Putschversuches offenbarte sich zunehmend seine
dilettantisch wirkende Durchführung. Unter den Putschisten befanden sich kaum
ranghöhere Offiziere, die jungen Soldaten schienen laut Zeugenaussagen unsicher
und ungewöhnlich defensiv. Dies ließ früh Gerüchte aufkommen, der Putschversuch
sei möglicherweise von der Regierung selbst inszeniert. Andere sprachen davon,
dass die Putschisten geglaubt haben könnten, dies sei die letzte Möglichkeit,
Erdogans Machtausbau zu stoppen. Denn für die bevorstehende Militärversammlung
hatte der Präsident Entlassungen kritischer Militärsmitglieder angekündigt.
Aber
das sind lediglich Spekulationen. Was bereits jetzt deutlich ist, sind kurz-
und langfristige Folgen des Putsches. Videoaufnahmen zeigen das brutale
Vorgehen ziviler Regierungsanhänger gegen Soldaten, die sich bereits ergeben
hatten, auch von einem Lynchmord wurde berichtet. Erdogan hatte das Volk per
Videobotschaft und SMS dazu aufgefordert, für die Verteidigung des Landes und
der Regierung auf die Straße zu gehen. Tausende Anhänger folgten seiner
Anweisung und stellten sich den Soldaten entgegen - mit der Folge, dass es
viele Tote gab.
Öffentliche
Feiern, bei denen nationalistische Parolen skandiert wurden, hielten bis zur
nächsten Nacht an. Auch die internationalen Reaktionen sind dominiert von einem
geschlossenen Rückhalt für Erdogan. Die westlichen Regierungen machten
deutlich, dass sie den Putsch keinesfalls unterstützen würden. Auch die
Parteien des türkischen Parlamentes zeigen sich ausnahmsweise einig in der
Verurteilung des Putschversuches - zu präsent sind ähnliche Ereignisse in der
Vergangenheit, die stets ein blutiges Ende genommen hatten.
Schon
am Morgen des Folgetages erklärte die Regierung, sie habe erste Schritte
zur "Säuberung" des Land unternommen. Mehr als 2700 Richter wurden
entlassen, viele wurden festgenommen. Eine massive Entlassungswelle gab es auch
im Militär, 3000 Soldaten sollen in Gewahrsam genommen worden sein. Laut
offiziellen Angaben prüft die Regierung die Wiedereinführung der Todesstrafe,
um sie auf die überlebenden Putschisten anzuwenden. Dies ist ein deutliches
Zeichen, dass Erdogan bei seinem Machtausbau auf undemokratische und
menschenrechtswidrige Mittel setzt.
In
oppositionellen Medien wird schon seit längerer Zeit ein zunehmend
autokratischer Führungsstil in der Türkei mit dem möglichen Ziel einer Diktatur
diskutiert. Nach dem Putsch sieht es so aus, als werde es seitens der Regierung
Schritte in diese Richtung geben. In einem Land, das unter einer instabilen
Lage leidet, nutzt der Präsident wiederholt die - teils von ihm selbst
verursachten - Unruhen, um sich als starker Anführer zu profilieren. Es ist
kein Geheimnis, dass Erdogan das Ziel verfolgt, die Trennung zwischen Religion
und Staat zu diffamieren oder sogar aufzuheben. Daher überrascht es nicht, dass
gläubige Türken, die den Großteil der Bevölkerung des Landes ausmachen, in der
Nacht des Putschversuches von ihren Gotteshäusern, von Moscheelautsprechern aus
zum Kampf aufgerufen wurden.
Aus
liberalen Kreisen wurden nach dem Putsch in sozialen Netzwerken Parallelen zu
dem historischen Entwicklungen nach dem Reichstagsbrand in Deutschland 1933 gezogen. Der Anschlag
auf das Parlament wurde damals als Vorwand genutzt, um die Verfassung praktisch
außer Kraft zu setzen. Regierungskritische Türken scheinen ähnliche Folgen im
eigenen Land zu befürchten.
Bei
den Feiern nach dem Putschversuch herrschte teilweise eine aggressive Stimmung.
Einige Erdogan-Anhänger schienen den Plan gefasst zu haben, die von der
Regierung propagierten konservativ-islamistischen Vorstellungen in Eigenregie
durchzusetzen. Sie verübten im Laufe der Nacht Selbstjustiz, indem sie in einem
Studentenviertel Menschen angriffen, weil diese öffentlich Bier getrunken
hatten.
Es
sieht so aus, als habe Erdogan die breite Unterstützung für den von ihm
geplanten Machtausbau. Die Abkehr des Landes von einer stabilen, friedlichen
Demokratie scheint sich in höherem Tempo fortzusetzen. Bereits existierende
Machtstrukturen könnten nach den aktuellen Entwicklungen mehr und mehr auf
Verfassungs- und Gesetzesebene legitimiert werden.
Zu
befürchten ist außerdem ein Brain drain des Landes. Es könnte eine
Auswanderungswelle von jungen Intellektuellen und Kreativen folgen, für die es
in ihrem eigenen Land immer schwierigere Lebens- und Entfaltungsmöglichkeiten
gibt. Schon in den vergangenen Monaten sah es so aus, als hätte das
Wahlergebnis vom November sowie die kontinuierliche Unterdrückung zu einer
Resignation im westlich orientierten Teil der jungen Generation geführt. Für
viele junge Menschen könnten der vereitelte Putsch und seine Folgen der
entscheidende Anstoß sein, ihrem Land nach langem Hadern den Rücken zu kehren.
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