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Samstag, 16. Juli 2016

STORIES of Istanbul: Die Nacht des vereitelten Militär-Putsches

Dieser Text wurde veröffentlich auf n-tv.de und kann unter folgendem Link auch dort nachgelesen werden: 
http://www.n-tv.de/politik/Die-Nacht-des-vereitelten-Militaer-Putsches-article18210151.html



Seit ich in Istanbul lebe, habe ich mich leider an Horror-Nachrichten aus dem Land - und die stoische Ruhe, mit der meine türkischen Freunde sie aufnehmen - gewöhnt. Umso überraschter bin ich gestern Abend, als mich besorgte Anrufe von Freunden erreichen. Sie bitten mich, das Haus nicht zu verlassen und erklären hektisch das Unglaubliche: Ein Teil des Militärs versucht, die Kontrolle über das Land an sich zu nehmen. Laut Nachrichten sind die Bosporus-Brücken von Panzern blockiert, in Ankara wurde der Flughafen von Soldaten besetzt.

Ungläubig öffne ich meine Balkontür und höre Helikopter über unserem Viertel kreisen. Unzählige meiner Nachbarn beugen sich ebenfalls aus den, sie haben Telefone am Ohr und schauen verdutzt in den Himmel und auf die Straßen, von denen Schüsse zu hören sind. Dann höre ich ein Rauschen - das Geräusch eine Kampfjets, wie ich erst später realisiere. Mein Mitbewohner ruft an und bittet mich, nachzusehen, ob unser Kühlschrank voll ist. Einen Moment lang glaube ich, er hat nichts mitbekommen, doch dann berichtet er von der verhängten Ausgangssperre.

Die üblichen Regeln gelten nicht mehr. Niemand weiß, was passieren wird, selbst ein Bürgerkrieg scheint den Medien zufolge nicht ausgeschlossen zu sein. Über der Stadt ist das Chaos hereingebrochen. Statt allein in meiner Wohnung mit schlechter Internetverbindung festzusitzen, eile ich zum nahegelegenen Haus eines Freundes. Hastig greife ich ein paar Dinge: Reisepass, Wasser, Handy, alles andere scheint unwichtig.

Auf den Straßen herrscht eine seltsame Stimmung. Manche Gassen sind wie leer gefegt, in einer anderen sehe ich eine Menschenansammlung, die die letzte offene Bäckerei der Gegend bestürmt, aber die Brotregale sind schon leer, dem Bäcker stehen wegen der Hitze des Momentes und seines Ofens die Schweißperlen auf der Stirn. Aus Supermarktlagern wird Wasser verteilt, eine Gruppe Jugendlicher versucht, in einen Kiosk einzubrechen. Aufgewühlt erreiche ich das Haus meines Freundes, wo mir zunächst die gewohnt ruhige Art entgegenweht, mit der die Menschen hier gelernt haben, auf schreckliche Nachrichten zu reagieren.

Doch es bleibt nicht ruhig. Das kleine Wohnzimmer, in dem ich die Nacht verbringen werde, ist gefüllt mit einer türkischen Freundesgruppe und dem Rauch ihrer nervösen Zigarettenzüge. Auf einem Laptop läuft der Livestream des Nachrichtensenders CNN Türk, dazu kleben alle an ihren Smartphones. Mir wird erklärt, was ich verpasst habe oder nicht verstehe: Präsident Erdogan hat sich per live Videochat an sein Volk gewendet, um seine Unterstützer aufzurufen, auf die Straßen zu gehen und den Putsch zu bekämpfen, er selbst befindet sich an einem unbekannten Ort.

In unserer Runde herrscht Fassungslosigkeit, als wir Videos sehen, wie Zivilisten tatsächlich in großen Scharen den Panzern und bewaffneten Soldaten entgegentreten. Manche von ihnen werden von den tonnenschweren Fahrzeugen einfach überrollt, andere klettern auf sie herauf und recken die Arme empor, die türkische Flagge schwenkend. Durch das offene Fenster ertönt in diesem Moment der Lautsprecher einer nahegelegenen Moschee. Der Ruf zum Gebet wirkt auf mich seltsam fehl am Platz. Doch mein Freund erklärt mir mit weit aufgerissenen Augen, dass aus dem Minarett Aufrufe zum Kampf und nationalistische Parolen ertönen. Wir zucken zusammen, als abermals Schüsse aus der Nachbarschaft zu hören sind. Um mich herum verstehe ich immer wieder das Wort "Bürgerkrieg" und geflüsterte Flüche, als auf dem Bildschirm eine dicke Rauchwolke über dem Regierungsgebäude in Ankara erscheint, welches anscheinend soeben bombardiert wurde.

Stilles Kopfschütteln wechselt sich nun mit hitzigen Diskussionen ab. Hier sind alles andere als Unterstützer der aktuellen Regierung versammelt, aber so hatten sie sich einen Machtwechsel natürlich nicht vorgestellt. Auf CNN Türk gerät die Moderatorin ins Stocken. Sie sagt, sie habe gerade erfahren, dass das Gebäude des Senders von Soldaten gestürmt worden sei. Kurz darauf ist nur noch das leere Nachrichtenstudio zu sehen, das Bild bricht ab. In allen Ecken des Wohnzimmers wird telefoniert. "Wo bist du?!", ist die am häufigsten gestellte Frage. Mittlerweile funktionieren auch die kurzzeitig geblockten sozialen Netzwerke wieder. Ich versuche, deutsche Freunde auf dem Laufenden zu halten, auf dem Sofa rollt mein Freund mit zitternden Händen eine Zigarette. Plötzlich durchfährt ein ohrenbetäubender Lärm das Haus, wir werfen uns instinktiv auf den Boden. Erst nach kurzem Durchatmen wird mir klar, dass ein Kampfjet unmittelbar über unser Dach hinweg gesaust sein muss.

In den folgenden Stunden scheint es ruhiger zu werden, Erdogan ist inzwischen in Istanbul gelandet und hält eine Rede. Er benutzt große Wörter wie Schande, Säuberung des Militärs von Verrätern, Zusammenhalt und Einigkeit. Von der Straße ertönen entfernt noch vereinzelte nationalistische Parolen aus Megafonen. Offiziellen Berichten zufolge hat die Regierung die Lage größtenteils unter Kontrolle. Ein letztes Mal werden wir aufgerüttelt, als das Haus und der Boden zu zittern beginnt, ohne dass wir wissen, was die Ursache ist.


Nach ein paar Stunden Schlaf erwachen wir in der drückenden Hitze der Stadt, die Ausgangssperre ist aufgehoben und ich sehe durchs Fenster, wie ein Mann seine Blumen gießt, als wäre nichts gewesen. In den sozialen Netzwerken kursiert das Gerücht, der abgetrennte Kopf eines Soldaten sei von der Bosporus Brücke geworfen worden. Auf dem Weg nach Hause sehe ich türkische Fahnen vor dem Friseursalon, dem Supermarkt und der Bank. Die fast euphorische Siegesstimmung der regierungsnahen Bewohner des Viertels wirkt unwirklich neben den nachdenklichen Gesichtern von anderen, die in einer Art Trance durch den Tag zu laufen scheinen. Mehr als 200 Menschen sind tot, weit über 1000 verletzt. Als ich nach Hause komme, läuft die Waschmaschine. Mein Mitbewohner säubert seine blutige Kleidung. Er hat in der Nacht einen verletzten Soldaten ins Krankenhaus gebracht.

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