http://www.n-tv.de/politik/Die-Nacht-des-vereitelten-Militaer-Putsches-article18210151.html
Seit ich in Istanbul
lebe, habe ich mich leider an Horror-Nachrichten aus dem Land - und die
stoische Ruhe, mit der meine türkischen Freunde sie aufnehmen - gewöhnt. Umso
überraschter bin ich gestern Abend, als mich besorgte Anrufe von Freunden
erreichen. Sie bitten mich, das Haus nicht zu verlassen und erklären hektisch
das Unglaubliche: Ein Teil des Militärs versucht, die Kontrolle über das Land
an sich zu nehmen. Laut Nachrichten sind die Bosporus-Brücken von Panzern
blockiert, in Ankara wurde der Flughafen von Soldaten besetzt.
Ungläubig öffne ich
meine Balkontür und höre Helikopter über unserem Viertel kreisen. Unzählige
meiner Nachbarn beugen sich ebenfalls aus den, sie haben Telefone am Ohr und
schauen verdutzt in den Himmel und auf die Straßen, von denen Schüsse zu hören
sind. Dann höre ich ein Rauschen - das Geräusch eine Kampfjets, wie ich erst
später realisiere. Mein Mitbewohner ruft an und bittet mich, nachzusehen, ob
unser Kühlschrank voll ist. Einen Moment lang glaube ich, er hat nichts
mitbekommen, doch dann berichtet er von der verhängten Ausgangssperre.
Die üblichen Regeln
gelten nicht mehr. Niemand weiß, was passieren wird, selbst
ein Bürgerkrieg scheint den Medien zufolge nicht ausgeschlossen zu sein.
Über der Stadt ist das Chaos hereingebrochen. Statt allein in meiner Wohnung
mit schlechter Internetverbindung festzusitzen, eile ich zum nahegelegenen Haus
eines Freundes. Hastig greife ich ein paar Dinge: Reisepass, Wasser, Handy,
alles andere scheint unwichtig.
Auf den Straßen
herrscht eine seltsame Stimmung. Manche Gassen sind wie leer gefegt, in einer
anderen sehe ich eine Menschenansammlung, die die letzte offene Bäckerei der
Gegend bestürmt, aber die Brotregale sind schon leer, dem Bäcker stehen wegen
der Hitze des Momentes und seines Ofens die Schweißperlen auf der Stirn. Aus
Supermarktlagern wird Wasser verteilt, eine Gruppe Jugendlicher versucht, in
einen Kiosk einzubrechen. Aufgewühlt erreiche ich das Haus meines Freundes, wo
mir zunächst die gewohnt ruhige Art entgegenweht, mit der die Menschen hier
gelernt haben, auf schreckliche Nachrichten zu reagieren.
Doch es bleibt nicht
ruhig. Das kleine Wohnzimmer, in dem ich die Nacht verbringen werde, ist
gefüllt mit einer türkischen Freundesgruppe und dem Rauch ihrer nervösen
Zigarettenzüge. Auf einem Laptop läuft der Livestream des Nachrichtensenders
CNN Türk, dazu kleben alle an ihren Smartphones. Mir wird erklärt, was ich
verpasst habe oder nicht verstehe: Präsident Erdogan hat sich per live
Videochat an sein Volk gewendet, um seine Unterstützer aufzurufen, auf die
Straßen zu gehen und den Putsch zu bekämpfen, er selbst befindet sich an einem
unbekannten Ort.
In unserer Runde
herrscht Fassungslosigkeit, als wir Videos sehen, wie Zivilisten tatsächlich in
großen Scharen den Panzern und bewaffneten Soldaten entgegentreten. Manche von
ihnen werden von den tonnenschweren Fahrzeugen einfach überrollt, andere
klettern auf sie herauf und recken die Arme empor, die türkische Flagge
schwenkend. Durch das offene Fenster ertönt in diesem Moment der Lautsprecher
einer nahegelegenen Moschee. Der Ruf zum Gebet wirkt auf mich seltsam fehl am
Platz. Doch mein Freund erklärt mir mit weit aufgerissenen Augen, dass aus dem
Minarett Aufrufe zum Kampf und nationalistische Parolen ertönen. Wir zucken
zusammen, als abermals Schüsse aus der Nachbarschaft zu hören sind. Um mich
herum verstehe ich immer wieder das Wort "Bürgerkrieg" und
geflüsterte Flüche, als auf dem Bildschirm eine dicke Rauchwolke über dem
Regierungsgebäude in Ankara erscheint, welches anscheinend soeben bombardiert
wurde.
Stilles Kopfschütteln
wechselt sich nun mit hitzigen Diskussionen ab. Hier sind alles andere als
Unterstützer der aktuellen Regierung versammelt, aber so hatten sie sich einen
Machtwechsel natürlich nicht vorgestellt. Auf CNN Türk gerät die Moderatorin
ins Stocken. Sie sagt, sie habe gerade erfahren, dass das Gebäude des Senders
von Soldaten gestürmt worden sei. Kurz darauf ist nur noch das leere
Nachrichtenstudio zu sehen, das Bild bricht ab. In allen Ecken des Wohnzimmers
wird telefoniert. "Wo bist du?!", ist die am häufigsten gestellte
Frage. Mittlerweile funktionieren auch die kurzzeitig geblockten sozialen
Netzwerke wieder. Ich versuche, deutsche Freunde auf dem Laufenden zu halten,
auf dem Sofa rollt mein Freund mit zitternden Händen eine Zigarette. Plötzlich
durchfährt ein ohrenbetäubender Lärm das Haus, wir werfen uns instinktiv auf
den Boden. Erst nach kurzem Durchatmen wird mir klar, dass ein Kampfjet unmittelbar
über unser Dach hinweg gesaust sein muss.
In den folgenden
Stunden scheint es ruhiger zu werden, Erdogan ist inzwischen in Istanbul
gelandet und hält eine Rede. Er benutzt große Wörter wie Schande, Säuberung des
Militärs von Verrätern, Zusammenhalt und Einigkeit. Von der Straße ertönen
entfernt noch vereinzelte nationalistische Parolen aus Megafonen. Offiziellen
Berichten zufolge hat die Regierung die Lage größtenteils unter Kontrolle. Ein
letztes Mal werden wir aufgerüttelt, als das Haus und der Boden zu zittern
beginnt, ohne dass wir wissen, was die Ursache ist.
Nach ein paar Stunden
Schlaf erwachen wir in der drückenden Hitze der Stadt, die Ausgangssperre ist
aufgehoben und ich sehe durchs Fenster, wie ein Mann seine Blumen gießt, als
wäre nichts gewesen. In den sozialen Netzwerken kursiert das Gerücht, der
abgetrennte Kopf eines Soldaten sei von der Bosporus Brücke geworfen worden.
Auf dem Weg nach Hause sehe ich türkische Fahnen vor dem Friseursalon, dem
Supermarkt und der Bank. Die fast euphorische Siegesstimmung der
regierungsnahen Bewohner des Viertels wirkt unwirklich neben den nachdenklichen
Gesichtern von anderen, die in einer Art Trance durch den Tag zu laufen
scheinen. Mehr als 200 Menschen sind tot, weit über 1000 verletzt. Als ich nach
Hause komme, läuft die Waschmaschine. Mein Mitbewohner säubert seine blutige
Kleidung. Er hat in der Nacht einen verletzten Soldaten ins Krankenhaus
gebracht.
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