Die Verhängung des Ausnahmezustandes
am Mittwoch hat die Stimmung in Istanbul im Vergleich zu den
Vortagen nicht merklich verändert. Viele Menschen, mit denen man spricht, geben
zu bedenken, dass die Regierung schon seit Monaten agiert, wie es eigentlich
nur im Notstand üblich wäre.
Kontrolle der Medien, eingeschränkte
Versammlungsfreiheit, Ausgangssperren – in Teilen des Landes und für Teile der
türkischen Gesellschaft sind solche Maßnahmen nichts Neues. Für die meisten
Menschen, unabhängig davon, wie sie zu Präsident Erdogan stehen, ist der
Ausnahmezustand lediglich eine Ausweitung der Maßnahmen, die zuvor ohnehin
schon regelmäßig ergriffen wurden.
Was jedoch auffällt, sind Art und
Umfang der propaganda-ähnlichen Öffentlichkeitsarbeit, die nun von Seiten der
Regierung betrieben wird. Täglich wird die Bevölkerung über die Medien und
immer wieder auch in massenhaft verschickten SMS aufgerufen,
weiterhin auf die Straße zu gehen, um sich zu ihrem Land zu bekennen. Von
Behörden und Brücken, am Istanbuler Wahrzeichen Galata-Turm, an öffentlichen
Bussen und selbst auf den Fahrzeugen der Stadtreinigung leuchtet das Rot der
türkischen Fahne. Auf Werbeflächen, die normalerweise Reklame zeigen, sind nun
die Flagge der Türkei und politische Slogans zu sehen.
Öffentliche Verkehrsmittel, wie hier die Tünelbahn auf der Istiklal Straße, sind mit Fahnen versehen. |
Auf den Bildschirmen in der Metro,
wo sonst zum Zeitvertreib der Fahrgäste Katzenvideos abgespielt werden, sind es
alte Wahlkampfclips der AKP. Seit Tagen ist der öffentliche Transport für alle
Bürger kostenlos, und auf öffentlichen Plätzen wird von der Stadtverwaltung und
dem Türkischen Roten Halbmond kostenlos Essen und Wasser verteilt.
"Yalniz değilsiniz" bedeutet "Ihr seid nicht allein", ein Stand des türkischen Roten Kreuzes "Kızılay, auch roter Halbmond. |
In den regierungsnahen Medien wird
der nationale Zusammenhalt – gegen Regierungsgegner, aber auch gegen
"Gefahren von außen" – wiederholt betont. Fernsehsender und Zeitungen
geben selektive Informationen wieder und scheinen hauptsächlich auf emotionale
Reaktionen abzuzielen. Die Menschen, die in der Nacht des Putschversuchs
Erdogans Aufruf gefolgt waren und sich Panzern und Soldaten entgegengestellt
hatten, werden von der Regierung als Helden gefeiert. Auf dem Taksim-Platz
wurde eine große Gedenktafel errichtet, auf der die Namen der
"Märtyrer", der im Putsch getöteten Zivilisten, aufgelistet sind.
Daneben werden auf einer Leinwand Interviews mit den Angehörigen der Toten
gezeigt. Im Hintergrund ist die gesamte Fassade des Atatürk-Kulturzentrums mit
der Botschaft "Die Macht gehört dem Volk" überzogen.
"Hakimiyet Milletindir"kann als "Die Macht gehört dem Volk" oder aber "die Souveränität gehört der Nation" übersetzt werden. |
Im konservativen Stadtteil Fatih
steht eine große Bühne, vor der sich eine Menschenmasse versammelt hat.
Inmitten der Menschen steht auf dem Dach eines gepanzerten Mannschaftswagens
ein Polizist mit Maschinengewehr und lässt seinen Blick über die Köpfe
schweifen. Zwischen zwei Bäumen hängt ein selbstgebasteltes Banner, auf dem
"#idamşart" steht, was soviel bedeutet wie: "Die Todesstrafe
muss her". Hashtag Todesstrafe.
Auch der Stadtteil Fatih leuchtet in dieser Nacht rot. |
Mit meinen blonden Haaren und der
Kamera in meiner Hand scheine ich hier aufzufallen. Plötzlich sind wir von
ernst blickenden Menschen umkreist. Was folgt, gleicht einem Verhör. Sie
verlangen zu wissen, woher ich komme, was ich hier tue, warum ich Fotos mache.
Nachdem wir eilig den Platz verlassen haben, erklärt mir mein Begleiter, was
soeben passiert ist. In den türkischen Medien werde derzeit ein Feindbild
westlicher Vorstellungen gezeichnet, sagt er, vor dessen Hintergrund mich diese
Regierungsanhänger als eine Art "Spion des Westens" gesehen haben
müssen.
Ein junges Mädchen feiert die Türkei. |