O ses Türkiye.
Istanbul//Berlin: Geschichten, Gesichter, Gedanken, Politik, Stimmen, Farben, Orte, Auseinandersetzen und Zusammensitzen, Traumata und Träume.
Istanbul//Berlin: stories, faces, thoughts, politics, voices, colors, places, examinations and integrations, trauma and 'Träume' (dreams).
Montag, 26. Oktober 2015
Sonntag, 25. Oktober 2015
Eindrücke//Einzelstücke - Szenen vom Wahlkampf
Donnerstag, 22. Oktober 2015
POLITICS in Istanbul: Beziehungsprobleme - zu Merkel's Besuch in Istanbul
Ein herbstlicher Sonntag in Istanbul, das grau-weiß der
Wolkendecke blendet in meinen Augen, der Geruch von Fisch streift meine Nase,
als ich mit meiner Mitbewohnerin in Beşiktaş unter wehenden Türkeiflaggen warte, um eine Fähre zur
asiatischen Seite der Stadt zu besteigen. Wenige hundert Meter von uns
entfernt, wird zur gleichen Zeit im Dolmabahçe Palast unter Blitzlichtgewitter die deutsche Bundeskanzlerin
empfangen, wahrscheinlich hat auch sie beim Spaziergang am Bosporus Ufer wie
ich, mit zusammen gekniffenen Augen auf die mächtige Stadt geschaut. Ein
deutscher Journalist, den ich im Sprachkurs kennengelernt habe, quält sich in
diesen Minuten durch endlose Sicherheitskontrollen, um einen kleinen Blick auf
das Schauspiel zu erhaschen. Ministerpräsident Davutoğlu hatte ein langes
Gespräch mit ihr, heißt es, und ich stelle mir sein kindliches Gesicht vor, das
mich jeden Tag von überdimensionalen Wahlplakaten herunter angrinst. Es soll
ein Gespräch der Annäherung sein, in dem sich Deutschland an seinen, über einen
jahrelangen Streit fast vergessenen Kameraden aus alten Zeiten wendet, um über
bisherige Meinungsverschiedenheiten hinwegzusehen, im Namen der „Krise“, und
neue Vereinbarungen zu treffen.
Der Krieg in Syrien treibt die Menschen in die Flucht, Menschen,
die lieber in den salzigen Wellen des Mittelmeers ertrinken würden, als weiter
in ihrer einstigen Heimat auszuharren und auf bessere Zeiten zu hoffen. Eltern
sitzen in wackligen Booten mit ihren Kindern, die noch nicht einmal sprechen,
geschweige denn schwimmen können, weil dies immer noch eine bessere
Überlebenschance ist, als das Festland, als der frühere Boden unter ihren
Füßen, der ihnen nun entrissen wurde.
Heimatlos zu werden, kann ich mir in meinen dunkelsten
Träumen nicht vorstellen, da ich zu der privilegierten Minderheit der Welt
gehöre, die im wirtschaftlich mächtigen, politisch stabilen Deutschland
aufgewachsen ist. Wer sind wir also, diesen Menschen ihre Hoffnung auf ein
besseres Leben zu versagen, ich habe nichts dafür getan, in meiner Heimat
geboren zu werden, es war einfach Zufall. Merkel beweist Stärke in dieser Lage,
indem sie ebendiese Meinung vertritt, und standhaft bleibt, was ihre
Willkommenspolitik gegenüber den Geflüchteten angeht, auch unter Kritik aus
ihren eigenen Reihen. Aber nun hat sie sich von der falschen Seite
Unterstützung geholt.
Die Türkei hat eine geographisch günstige Lage, um vermeintlichen
Einfluss auf die Ströme der Migration zu nehmen, Merkel weiß das, Erdogan weiß
das, es ist kein großes Geheimnis. Was irritiert ist, wie nun über Menschen in
Todesangst verhandelt wird, Leistungen und Gegenleistungen abgewogen werden.
Natürlich müssen auf politischer Ebene Weichen gestellt werden, um die große
Zahl an Menschen angemessen zu versorgen. Aber welcher kühne Geistesblitz
Merkel dazu gebracht hat, ausgerechnet jetzt die symbolische und faktische
Freundschaft mit der Türkei in eine ernsthafte, feste Beziehung zu verwandeln,
ist mir ein Rätsel. Erdogan spielt sich als großmütiger Retter in Merkels Krise
auf, und sie lässt es zu wie eine naive Prinzessin. Wie in einer modernen
Liebesgeschichte vergisst sie, wer sie ist, und wofür sie steht. Die EU als
Wertegemeinschaft, als Verfechter der Menschenrechte, und meine Güte, Friedensnobelpreisträger
reicht ausgerechnet dem Mann die Hand, der nicht nur im Wahlkampf als
skrupelloser Dirigent die ihn kritisierenden Menschen durch Hintertüren
verschwinden lässt, der unter dem Vorwand des Kampfes gegen den Terror seinen
ganz eigenen Krieg führt, immer mehr auch gegen seine eigenen Bürger. Der neue
Liebhaber Europas fordert Geld, Visaberechtigungen, eine Einladung zu
zukünftigen EU Versammlungen und nicht zuletzt eine Wiederaufnahme der
Beitrittsverhandlungen. So hat Erdogan also wieder einen Fuß in der Tür, die
zum vermeintlichen Wunderland Europa führt. Und wieder bestätigt sich, was sich
wie ein roter Faden durch seine Handlungen zieht: der Eigennutz als Motto, der
Machtausbau als erstes Item auf jeder seiner To-Do-Listen.
Denn würde es der türkischen Regierung um das Wohl seiner Bürger
sowie um das der Flüchtlinge gehen, würden ebendiese Familien nach der Flucht
in die Türkei sich nicht gegen die staatlichen Flüchtlingscamps entscheiden, um
lieber ihre Kinder in den regnerischen Straßen Istanbuls Schirme verkaufen zu
lassen, würde Erdogan die Bombardierung von IS Formationen nicht als Ablenkung
benutzen, seinen Krieg gegen die Kurden fortzusetzen, um damit gegen diese
Bevölkerungsgruppe zu hetzen, würden junge Türken nicht versuchen entweder auch
für ein sicheres Leben nach Europa aufzubrechen oder gegen ihr Land in seinem
derzeitigen Zustand zu protestieren.
Während Merkel nun also auf einem goldenen Stuhl neben dem Wachsfigur-ähnlichen
Erdogan sitzen muss, sitze ich neben meiner Mitbewohnerin auf einer Holzbank
auf der Fähre. Nach einem Frühstück in Üsküdar treffe ich mich mit einer
anderen Freundin in Kadıköy,
neue Hochburg der alternativen Szene. Am Hafenufer liegen Zigaretten und
Muscheln, im Wasser blitzen die silbernen Schuppen von kleinen Fischschwärmen
auf, die zwischen Quallen und Plastikmüll dahin schwimmen, die Fähre macht sich
rauchend wieder auf den Weg auf die andere Seite und auch hier wehen türkische
Flaggen im seichten Wind. Auf dem Platz vor der Fähranlegestelle ist der
Wahlkampf voll entfacht, und zwischen all den absurden Wahlplakaten finden sich
Perlen wie „Ich, Du, zählt nicht, was zählt ist die Türkei“.
Mikrofon-verstärkte Stimmen brüllen Wahlversprechen umher, und mein Türkisch
reicht nicht aus, um den Sinn hinter all dem zu finden, aber vielleicht liegt
es auch nicht am Sprachverständnis. Ein Wort allerdings fällt mir gleich auf: -Barış- das türkische Wort für
Frieden. Es kommt aus dem Mund einer kleinen Frau mit wilden Locken, die am
HDP-Stand („Demokratische Partei der Völker“) ein Mikrofon ergriffen hat.
Freitag, 16. Oktober 2015
Die rote Fahne - Der Anschlag von Ankara
Blut
läuft die Straßenrinne entlang, gemischt mit Regen, die hügelige Dorfstraße
hinunter, vor meine Turnschuhe. Die wichtigsten religiösen Feiertage der Türkei
haben begonnen, das Opferfest, Kurban Bayramı. Die Straßen der Stadt Pergamon sind leer, die Menschen versammeln
sich in Gärten und Hinterhöfen, um Schafe oder, abhängig von Wohlhaben, größere
Tiere zu schlachten, an der Ecke werden Messer verkauft. Über der Stadt ragt
die Akropolis, die an griechische Zeiten erinnert, und ich esse Köfte in einem
Neon-beleuchteten Restaurant. Hier scheint der Lärm meiner neuen Heimat,
Istanbul, weit entfernt, ein Mann der in seinem Hauseingang ein von der Decke
hängendes Schaf häutet, mustert mich interessiert und ein Lächeln bewegt die
ledrigen Falten um seine Augen.
Einige
Tage später bin ich zurück in der Realität der Metropole, und es regnet, Wasser
läuft die Straßenrinnen hinunter, und etwas fehlt. Die Wahlparolen, die in den
letzten Tagen von den Dächern der mit Politikerfotos tapezierten Kleinbusse in
die herumeilenden Menschenmassen geschleudert wurden, sind verstummt. Verordnete
Staatstrauer, der Wahlkampf ist somit für einige Tage ausgesetzt.
Vergossenes
Blut ist der Anlass, das klebrige getrocknete Blut von menschlichen Wesen,
welches, wegen das Diesseits überschreitender Überzeugungen von bisher
unbekannten, anderen Menschenwesen, den Betonboden von Ankara benetzt.
Nicht
das erste Mal, nicht die ersten Leben von Zivilisten, die beendet wurden, in diesem
Land, das sie trotz allem Heimat nennen. Aber das erste Mal in solch einem
absurden und unbegreiflichen Szenario, welches die Menschenwürde in unheimliche
Ferne rücken lässt. Viele Menschen hatten sich am Samstag, den 10. Oktober 2015
in Ankara versammelt, um ihre Stimme zu erheben für das, woran sie glauben; an
das gewaltfreie Zusammenleben verschiedener Menschengruppen, seien ihre
Geschichten auch noch so unterschiedlich, an Gerechtigkeit auf
zwischenmenschlicher und politischer Ebene, und an die Intelligenz der Liebe
und Menschlichkeit, die mächtiger ist als jene verachtender Waffen und
unterdrückender Regimeführung.
Sie
kamen, weil sie an den Frieden glaubten, und daran, dass er der kleinste
gemeinsame Nenner für Türken und Kurden sein kann. Sie kamen, um sich
zusammenzuschließen im Kampf gegen die verzerrte Politik, die hier geführt
wird. Eine Politik, in der ein Rütteln am Thron des kleinen Recep jeden Tag
fatale Folgen nach sich zieht. In der erstmals eine liberal auftretende, der
kurdischen und anderen Minderheiten verbundene Partei eine politische Stimme
erlangt hat, nur um in den folgenden Wochen und Monaten als unglaubwürdig
dargestellt zu werden, mit Terroristen in einem Atemzug genannt zu werden,
attackiert und boykottiert zu werden, vom machthabenden Pokerer und seinen
Gefolgsleuten höchstpersönlich. Das Volk wird gegeneinander aufgehetzt und die
Regierung versucht, mithilfe der von ihnen kontrollierten Medien, die Grenzen
zu verwischen zwischen der als terroristisch klassifizierten Gruppe PKK, die
ebenfalls der kurdischen Ethnie angehört und der demokratisch gewählten Partei
HDP, die sich für einen Platz kurdischer Menschen in der türkischen
Gesellschaft und ein friedliches Zusammenleben einsetzen. Die wahren
Terroristen sind die Anhänger der gefürchteten Gruppe „Islamischer Staat“, die
ihrerseits keine Unterscheidung vornehmen bei Angriffen auf die heterogene
Gruppe kurdisch-stämmiger Menschen die in der Osttürkei, Nordirak, Nordsyrien
und anderen Ländern leben. Viele vermuten sie hinter dem Bombenanschlag vom
Samstag, ob es je zu einer Aufklärung kommen wird, ist fraglich.
Der tägliche Bullshit |
Die
Ironie der Situation ist schmerzlich, Friedensfahnen, die tote Körper von fast hundert
Menschen verhüllen und schmutzig rot gefärbt die Schande zu bedecken versuchen.
Die Bomben haben ihre Körper zerfetzt. Ihre menschliche Hülle wurde
desintegriert, so wie Erdoğan
seit Monaten versucht, sie von der türkischen Gesellschaft zu desintegrieren. In
folgenden Stellungnahmen der Regierung wird angemerkt, es wäre möglich, die HDP
habe das Attentat selbst inszeniert, um Sympathie für die Wahl zu sammeln.
Am
1. November 2015 soll die Wahl stattfinden, das türkische Volk soll
entscheiden, welche Parteien sich an der Regierung beteiligen sollen.
HDP-Anhängern wurde am Samstag eine eindeutige Nachricht überbracht: seid ihr
gegen die Regierung, so seid euch eures Lebens nicht sicher. Die gleiche
Nachricht erfuhren vor einigen Wochen regierungskritische Tageszeitungen, deren
Hauptquartiere in nächtlichen Aktionen angegriffen wurden, unter der agitierten
Menge auch ein Abgeordneter der Regierungspartei. Trotz all diesen Umständen, und toter HDP
Wahlkandidaten, wird am Wahldatum festgehalten, unter dem Deckmantel der
Demokratie soll sich die Zukunft des Landes entscheiden.
Während meine türkischen Freunde verstört, entsetzt,
wütend, ohnmächtig durch ihren Alltag trotten, in Gedanken bei ihren Bekannten
und Freundesfreunden, die gestorben sind, erhalte ich Emails meiner deutschen
Universität, ich möge doch bitte vorsichtig sein und in nächster Zeit nicht die
U-bahn benutzen.
Am Sonntag
wird die mächtigste Frau der Welt dem kleinen Recep einen Besuch abstatten. Wird
sie ihn darauf hinweisen, dass er sich wie ein gekränktes Kind verhält, das
andere Kinder verprügeln lässt, um die Kontrolle über seinen Spielplatz Türkei
zu behalten? Wird sie ärgerlich anmahnen, dass die Tyrannerei der ISIS-Gang
überlebende Familien in ihre überforderte europäische Nachbarschaft treibt und
er dies nicht für sein Spielchen ausnützen sollte? Und wird sie mit
Sorgenfalten auf ihrer Kanzlerstirn sagen, dass sein Mobbing gegen Andersdenkende
sie an frühere Zeiten ihrer eigenen Landesgeschichte erinnert? Vermutlich
nicht. Denn sein Spielplatz hat eine wichtige geographische Lage, und
vielversprechende Spielgeräte.
Klartext,
so wie Demirtaş ihn
gesprochen hat, wird nicht über ihre diplomatischen Lippen quellen. Zu
überwältigend die derzeitige Lage der Welle von Geflüchteten in Deutschland, dass
sie zunächst übersehen wird, dass der Mann, den sie zur Zusammenarbeit bittet,
diese nur zu seinem eigenen Vorteil nutzen möchte, und am Friedensprozess und
Menschlichkeit so wenig Interesse hat wie am Geheimnis ihres
Haarpflegeproduktes.
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