Dieser Artikel wurde auf dem Blog der "Störenfriedas" veröffentlicht:
http://diestoerenfriedas.de/distanzierungsversuche-und-abartige-annaeherungserfolge-zur-silvesternacht-in-koeln/
Zum Jahreswechsel wurde meine neue Heimat Istanbul in einen unerwarteten Schneeschleier gehüllt, und alles schien gedämpft zu erklingen, nicht vergleichbar mit den nebeligen Bildern aus meinem eigentlichen Kiez in Berlin, wo immer absolut laute und chaotische Zustände herrschen, wenn die Uhr zwölf schlägt. In den folgenden Tagen erschienen in den sozialen Medien, die ich besuche, immer wieder Artikel und Kommentare zu Köln in der Silvesternacht. Lange habe ich es gemieden, ausführlicher zum Thema zu lesen, was ich heute nun nachgeholt habe. Schlagartig habe ich schlechte Laune, die Worte ‚sexualisierte Gewalt’ hallen in meinem Kopf wie ein zu oft gehörter Song und sofort melden sich persönliche Assoziationen und Gedanken an von mir erlebte Situation aus dem Unterbewusstsein zu Wort.
http://diestoerenfriedas.de/distanzierungsversuche-und-abartige-annaeherungserfolge-zur-silvesternacht-in-koeln/
Zum Jahreswechsel wurde meine neue Heimat Istanbul in einen unerwarteten Schneeschleier gehüllt, und alles schien gedämpft zu erklingen, nicht vergleichbar mit den nebeligen Bildern aus meinem eigentlichen Kiez in Berlin, wo immer absolut laute und chaotische Zustände herrschen, wenn die Uhr zwölf schlägt. In den folgenden Tagen erschienen in den sozialen Medien, die ich besuche, immer wieder Artikel und Kommentare zu Köln in der Silvesternacht. Lange habe ich es gemieden, ausführlicher zum Thema zu lesen, was ich heute nun nachgeholt habe. Schlagartig habe ich schlechte Laune, die Worte ‚sexualisierte Gewalt’ hallen in meinem Kopf wie ein zu oft gehörter Song und sofort melden sich persönliche Assoziationen und Gedanken an von mir erlebte Situation aus dem Unterbewusstsein zu Wort.
Medien
gegenüber habe ich gelernt, skeptisch zu sein, aber doch kommen von allen
Seiten ähnliche Informationen, dass sich eine riesige Gruppe von Männern, die
in einer unter anderem durch Alkohol enthemmten Stimmung gewesen zu sein scheinen, versammelt hat und sich ein Fest daraus
gemacht hat, ihre Hände zwischen die Beine fremder Menschen zu stecken.
Ich
spüre in mir, als wäre es gestern gewesen, die Wut, von dem Abend vor zwei
Jahren, als ich in einem Club an einer Bar stand, und die blitzartige Bewegung
einer Hand spürte, die sich nicht nur zwischen meine Beine, sondern samt
Strumpfhose in mein Inneres bohrte. Zutiefst perplex schnellte ich herum, und
vor mir ein Gesicht mit einem herausfordernden, selbstbewussten Grinsen. Ich
bin nicht stolz darauf, wie die Situation geendet ist, sagen wir so, der
schmächtige Möchtegern-Macho hat nicht mit der unkontrollierten Kraft
gerechnet, die ich anscheinend entwickele, wenn jemand derart meine
persönlichen Grenzen überschreitet. Ich war sehr wütend, einige Minuten später
aber, als sich das Adrenalin langsam aus meiner Blutbahn verflüchtigt hatte,
musste ich weinen. Ich kam mir so machtlos vor, so dis-respektiert und
verspottet. Ich kann mir leider vorstellen, wie die Situation anders hätte ausgehen
können, hätte der Kerl damals seine Gruppe von Freunden mitgebracht. Darum bin
ich so entsetzt, so unfassbar aufgebracht über diese Idioten, die sich
zusammentuen, um in der Überzahl andere zu erniedrigen.
Die
Situation der Enge und Bedrängung wiederum erinnert mich an die ein oder andere
Bahnfahrt in einer überfüllten U-bahn in Berlin, wo manchmal eine Hand in
meinen Po kneift, oder jemand seinen Schritt mit erigiertem Glied an meine
Hüfte drückt. Nur der Gedanke daran verzieht mir das Gesicht, und traurig
erinnere ich mich an sehr ähnliche Geschichten von Freundinnen, immer mal
wieder Thema bei uns, nichts neues eben. In solchen Gesprächen frage ich mich
immer, wie jemand dazu kommt, so etwas zu tun. Kluge Menschen, die sich auf
einer täglichen Basis mit dieser Frage beschäftigen, können gewiss eine bessere
Antwort geben als ich, fast alle sind sich aber einig, dass Sozialisierung ein
wichtiger Teil der Gleichung ist. Wenn jemand die Grenzen eines Anderen
respektlos überschreitet, dann weil er in einer Welt (und ja, ich meine Welt,
nicht Gesellschaft) aufwächst, in der dies geduldet wird und die Erfahrung ihm
gelehrt hat, dass keine größeren Konsequenzen daraus erwachsen, wenn man etwas
wie sexualisierte Gewalt instrumentalisiert, um sich überlegen zu fühlen.
Dieses
Dilemma ist mir einmal schmerzlich bewusst geworden, als ich von einem Jungen,
den ich auf vielleicht 14 Jahre schätze, angefasst wurde. In seinen Augen das
gleiche siegessichere Lächeln wie ich es schon kenne. Ich gehe wütend auf ihn
zu, am liebsten möchte ich ihn schütteln, aber ich halte sofort inne, als ich
sehe, wie jung er ist. Wer hat ihm beigebracht, dass dies ein lustiges Spiel
ist? Vielleicht ein älterer Bruder, vielleicht aber auch einfach nur eine der
Soap-Geschichten, die auf bunten Bildschirmen jeden Tag erzählt werden. Wie
viel von seiner Tat ist seine Schuld, inwieweit kann er sie verantworten und
würde eine Reaktion von mir in die eine oder andere Richtung überhaupt einen
neuen Gedanken in seinem Kopf formen?
Bei
all der Fassungslosigkeit über die Silvesternacht vergessen wir, dass sexuelle
Belästigung nicht etwas ist, dass nun seit der Einwanderung von
Kriegsüberlebenden an Deutsche Menschen, Frauen, als neuartiges Konzept
herangetragen wird. Welch gruselige Ereignisse erhöhter Alkohol-Blutspiegel
gepaart mit Gruppendynamik und immer-noch-vorherrschendem Männerbild entstehen
lassen kann, weiß ich von vertraut erscheinenden Situationen wie WG-Parties.
Oder aber von Fahrten im Regionalzug durch Brandenburg, nachdem sich hunderte
betrunkene Hertha-fans vom Stadium wieder zurück auf den Weg in ihr Kaff machen
und unterwegs versuchen, „noch ein paar Mädels klar zu machen“.
Wir
leben bereits in einer Gesellschaft, in der sexualisierte Gewalt eine Realität
ist, über die bis vor ein paar Tagen aber kaum gesprochen wurde. Es werden
Arten der Diskriminierung miteinander vermischt, und eine Hierarchie lässt sich
erkennen. Frauenrechtsgruppen kritisieren nämlich im Kontext von sexueller
Gewalt, dass den Opfern oft zu wenig Glauben geschenkt wird („Bist du sicher,
dass du es nicht wolltest?“/“Aber das ist doch der Sohn von Monika, kann ich
mir nicht vorstellen, dass der so etwas macht!“) oder sie selbst für den
Vorfall verantwortlich gemacht werden („Du bist aber auch betrunken gewesen!“/
„Bei der Kleiderwahl fühlen sich Männer eben eingeladen!“) . Dies ist bei der
Debatte um Köln nicht der Fall, es steht in der öffentlichen Meinung außer
Frage, die Schuld bei den Tätern zu suchen, wie es im Idealfall eigentlich
passieren sollte. Aber es geschieht aus den falschen Gründen, nämlich weil die
Täter in der Hierarchie der Diskriminierung noch eine Stufe tiefer stehen, als
Frauen, sie sind nämlich sogenannte ‚Ausländer’. Es wird verallgemeinert, und
die Gruppe der Andersartigen, der Fremden, für Probleme verantwortlich gemacht,
die schon immer bestehen, die perfekte Lösung für das reine Gewissen der
deutschen Menschen.
Ich
erinnere mich nur allzu gut an einen Zusammenstoß mit einem Taxi, mein schönes
Rennrad hatte eine kleine Schramme in die Beifahrertür geritzt. Was folgte war
eine unnötig lange Serie an Begutachtungen, der Taxifahrer wollte mich
zusätzlich für einen Schaden am Heck bezahlen lassen, den ich nicht verursacht
haben kann. Wenn ich in der Geschichte erwähnte, dass der Taxifahrer Türke ist,
hörte ich manchmal Kommentare die nahelegten, dass die Türken ein Volk seien,
das seine Autos sehr liebe und auch vor Betrug nicht zurückschrecken würde,
kämen sie zu schaden. Ich entgegnete in der Regel, dass ich finde, der
Taxifahrer sei ein Arschloch, ob er nun ein türkisches oder ein deutsches
Arschloch ist, macht für mich eigentlich keinen Unterschied. (Am Ende musste
unsere Versicherung das unnötige Geld übrigens nicht bezahlen). So finde ich
auch vor allem wichtig, über die Ausschreitungen und den Sexismus in Köln zu
reden, welchen Pass jemand trägt, der so etwas tut, bessert oder verschlechtert
mein Bild von jenem Arschloch aber nicht.
Damit
möchte ich verdeutlichen, widerliche Sexualstraftaten und auch der gute alte
Alltagssexismus sind keine Dinge, die ich akzeptieren kann. Genauso wenig kann
ich aber hinnehmen, wenn ihre Ursachen banalisiert und verzerrt dargestellt
werden indem die Kölner Vorfälle für fremdenfeindliche Stimmungsmache
missbraucht werden.
Im
Internet kursieren Bilder von männlichen Immigranten, die Schilder halten, auf
denen sinngemäß steht: ‚Liebe Deutsche Frauen, wir sind entsetzt über die
Vorfälle und wollen uns ausdrücklich davon distanzieren!’ Dies zeigt die
Hierarchie, von der ich vorhin sprach: gehört man zu einer Minderheit, und
begeht ein Mitglied jener Gruppe ein Vergehen, wird die Gruppe der Minderheit
als Ganzes angeklagt, so wie zuletzt von Muslimen verlangt wurde, sie sollen
sich vom IS distanzieren (von Verallgemeinerungen die ‚Minderheit’ Frauen
betreffend, welche die Hälfte der Weltbevölkerung ausmachen, möchte ich gar
nicht erst anfangen). In diesem Sinne möchte ich mich als deutsche Frau ausdrücklich
bei allen Kriegsüberlebenden, die im Moment in unserem Land Schutz suchen,
entschuldigen, für Deutsche Menschen, die die für euch neugebauten Unterkünfte
anzünden, ich distanziere mich von Menschen, die euch Gewalt antun, euch böse
Blicke zu werfen, euch das Gefühl geben, ihr seiet unerwünscht, ich bin
entsetzt über Pegida Demonstrationen und schäme mich für Menschen meines
Landes, die Herkunft wichtiger finden, als Menschlichkeit.
http://www.daserste.de/information/wissen-kultur/ttt/videos/sexuelle-gewalt-und-migranten-102.html
http://www.tagesspiegel.de/politik/debatte-um-fluechtlinge-und-die-uebergriffe-von-koeln-die-gespaltene-nation/12817634.html
http://ausnahmslos.org
http://diestoerenfriedas.de/die-farce-von-koeln/
http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2016-01/sexmob-koeln-kriminalitaet-strafrecht-fischer-im-recht
http://www.tagesspiegel.de/politik/debatte-um-fluechtlinge-und-die-uebergriffe-von-koeln-die-gespaltene-nation/12817634.html
http://ausnahmslos.org
http://diestoerenfriedas.de/die-farce-von-koeln/
http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2016-01/sexmob-koeln-kriminalitaet-strafrecht-fischer-im-recht
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