Istanbul//Berlin: Geschichten, Gesichter, Gedanken, Politik, Stimmen, Farben, Orte, Auseinandersetzen und Zusammensitzen, Traumata und Träume.

Istanbul//Berlin: stories, faces, thoughts, politics, voices, colors, places, examinations and integrations, trauma and 'Träume' (dreams).

Mittwoch, 7. Dezember 2016

Türen Die Verführen // 7

Der Polyträumer Adventskalender öffnet seine Pforten für euch!
Heute: Worte der alten Sorte.



Weltrauschen im Nebelgang
Einflussfaktor fließt
in Höchstgeschwindigkeit
schwindend
Moleküle zu kühl
Gefangen im Anfangen


Ich will die Kür
lieber willkürlich
priorisieren
im Weltrauschen
nicht den Überblick verlieren


Dienstag, 6. Dezember 2016

Türen Die Verführen // 6

Der Polyträumer Adventskalender öffnet seine Pforten für euch! 
Heute: "Und wir winken mit der Morgenlatte - Danke, ich hab schon!" Was Trump in seiner nächsten Rede sagen könnte - ein Vorschlag.




Käptn Peng, Judith Holofernes und Gisbert zu Knyphausen nahmen im Juni 2016 ein Mash-up für die Ludwigsberger Schlossfestspiele auf



Aus "Danke, ich hab schon" von Judith Holofernes
I’ve seen the needy and the damage done
A little part of it in everyone
I’ve seen the needy and the damage done
Ooooh, the damage done
Danke, ich hab schon
Danke, ich hab schon
Mach den Knopf auf, streck den Bauch raus und sing:Danke, ich hab schon
Pack zusammen, zieh ins Rauchhaus und sing:Danke, ich hab schon
Inhaliere, blas den Rauch aus, und sing: Danke, ich hab schonDanke, ich hab schon
Danke, ich hab schon
Streichel dreimal deine Wampe und sing: Danke, ich hab schon
Steige aus an roten Ampeln und sing: Danke, ich hab schon
Lass dich wählen, danke ab und singe: Danke, ich hab schon
Danke, ich hab schon
Danke, ich hab schon
Genug Genug Genug – Ich hab
Genug Genug Genug – Ich hab
Genug Genug Genug Danke! Genug!
Und wir wiegen in der Hängematte: Danke, ich hab schon
Und wir winken mit der Morgenlatte: Danke, ich hab schon
Lass dich treiben wie die Wasserratte: Danke, ich hab schon
Danke, ich hab schon
Danke, ich hab schon
Sprich mir nach wie ne kaputte Platte: Danke, ich hab schon
Danke, ich hab schon
Danke, ich hab schon
Genug Genug Genug – Ich hab
Genug Genug Genug – Danke! Genug!
Haben sie noch einen Wunsch? Ja: Punsch
Kann ich noch was für sie tun? Ja: ruhen
Darf ich Ihnen etwas bringen? Nicht dringend
Darf’s bei Ihnen noch etwas sein? Äh: Nein! Nein! Nein!


Aus "Kündigung 2.0" von Käptn Peng & Shaban
Ich möchte mich hiermit bei euch entschuldigen!

Doch habe ich bereits erwähnt, ich bin gekommen, um zu kündigen!

Will mit euren Heiligen sündigen

Und euren König samt seinen Verbündeten entmündigen

Arrivederci, Adieu und Bis Später
Salute, Cincin, Prost, ich gehe
Vergesst mich, ersetzt mich, ich war nie hier

Ich bitte euch hiermit mich zu exmatrikulieren

Ich spielte eine Rolle, die Kultur hat mir souffliert

Ich habe nicht die Form, die Form hat mich formuliert

Und so muss ich gehen, und wie Autoren vor mir deuten

Mein Buch umschreiben, und neue Zeilen zeugen

Zwischen wilden Silben schlafen und den Weg verlassen

Um in einer neuen Sprache mein Leben zu verfassen

Aus "Guten Tag (Die Reklamation)" von Wir sind Helden
Guten Tag, ich will mein Leben zurück

Guten Tag, guten Tag ich will mein Leben zurück

Guten Tag, ich gebe zu, ich war am Anfang entzückt

Euer Leben zwickt und drückt nur dann nicht wenn man sich bückt

Guten Tag
Danke, ich hab schon

Danke, ich hab schon

Danke, ich hab schon

Genug Genug Genug Ich hab

Genug Genug Genug Ich hab


Genug Genug Genug Danke! Genug!



Montag, 5. Dezember 2016

Türen Die Verführen // 5

Der Polyträumer Adventskalender öffnet seine Pforten für euch! Heute so: Istanbul-Schnee-Fernweh.


















































Türen Die Verführen // 3/4




Der Polyträumer Adventskalender öffnet seine Pforten für euch!
Diesmal: Vorhang auf für einen weit hergeholten Vergleich - Wie sich Dornröschen in der Politik versucht. 

Kleine Füße in Glitzerstrumpfhosen tippeln aufgeregt durch das Forum der Urania, ungeduldige Mädchenhände ziehen ihre schwerfälligen Großeltern in Richtung des Humboldt-Saales, wo das russische Nationalballett Tschaikowskys Dornröschen aufführt. Kurz später im Saal verstummt das wirre Murmeln schlagartig, als der schwere Samtvorhang den Blick auf die prächtige Märchenbühne freigibt. Bis zur Präzision trainierte Tänzerkörper erzählen die Geschichte der Königstochter, die aufgrund eines Fluches in einen hundertjährigen Schlaf verfällt, bevor sie vom heldenhaften Kuss des Prinzen erlöst wird.

Ich erinnere mich an meine Ballett-Tanzstunden, wie ich an der Schwelle zur Pubertät tatsächlich selbst leidenschaftlich von einer Ballerina-karriere träumte. Für eine kurze Weile war ich eines der kleinen Mädchen, die auf der Bühne zaghafte Pas-des-chat Sprünge machten und mit staunender Bewunderung große Ballettaufführungen verfolgten. Das war bevor ich verstanden habe, was der Job wirklich bedeutet. Aber auch bevor ich ein realistisches Verständnis der Welt hatte, lang bevor ich begriffen hatte, dass meine Optionen mehr als ein Prinzessinnen- oder ein Ballerina-Dasein umfassten, und sehr lang bevor ich einen milden Hass gegenüber dem Prinzessinen-Kult entwickelt habe, der für kleine Mädchen betrieben wird, wie sie mich heute in diesem Saal umgeben.

Heute beobachte ich die Tänzerinnen, deren riesiges Lächeln unter ihrem dickem Make-Up bizarr maskenartig aussieht, und die kleinen Mädchen, die sie mit funkelnden Augen anhimmeln während mein eigenes Gesicht in nachdenklichen Falten erstarrt ist. Was geht den kleinen Mädchen wohl durch den Kopf, während sie die exakt einstudierte Leichtigkeit in den Bewegungen der Solistin verfolgen, die als Dornröschen Pirouetten dreht und schließlich atemlos, unter rasanten Hebungen und Senkungen ihres Brustkorbes, in den vermeintlich verzauberten Schlaf fällt? Werden sie früher als ich verstehen, dass sie auch selbst Ritterinnen, Wachküsserinnen, Kämpferinnen, oder gar Firmenchefinnen in Glitzerstrumpfhosen sein können, wenn sie das möchten? Werden sie sich so glücklich und verzaubert wie Dornröschen fühlen, wenn sie aus ihrem ersten Rausch aufwachen, weil ein alkoholisierter Party-König seine Lippen ungefragt auf ihre drückt?

Das Märchen des Dornröschen haben die Gebrüder Grimm aus einer Erzählung von Giambattist Basile übernommen. In der ursprünglichen Fassung der Geschichte „Sonne, Mond und Thalia“, die um 1636 erschien, war statt magischem Wachküssen die Rede von einer Vergewaltigung der schlafenden Prinzessin. Nach wie vor bewusstlos gebärt die Prinzessin in dieser früheren Variante des Märchens Zwillinge, die sie schließlich aus ihrem Schlaf erwecken. Am Ende der Geschichte wird Hochzeit gefeiert, die 16-jährige Prinzessin wird mit ihrem Vergewaltiger vermählt.

Das heutige Glitzerspektakel auf der Bühne basiert indirekt auf dieser verstörenden Überlieferung aus dem Anfang der frühen Neuzeit. Eine Epoche die, wie es scheint, zuletzt unter Erdogan auch auf der Bühne des Politikgeschehens ihre späte Renaissance feiert. Der selbst-ernannte König setzt auf altbewährte Trends, die im Dornröschen-Stil eine echte Welt der Märchen im Hier und Jetzt entstehen lassen soll.


Gegen seinen Gesetzesentwurf, nachdem Vergewaltiger von Minderjährigen in der Türkei straffrei bleiben sollen, sofern sie ihre Opfer heiraten, sind hunderte Frauen auf die Straße gegangen. Was ist ihnen wohl durch den Kopf gegangen? Wie lang können sie noch als Kämpferinnen, als Wachrüttlerinnen die Märchen ertragen, die ihnen erzählt werden? Ihre Gesichter wirken nicht erstarrt, ihre Augen nicht verklärt, ihre Mimik auf den Medienfotos ist entschlossen, wütend. Sie wollen einen Neuentwurf der Erzählung, die Erschaffung einer unverklärten Narrative, die uninszenierte gerechte Chance, die ihnen zusteht. Sie machen die Hauptstraße Istanbuls zu ihrer Bühne, sie versuchen alle, die immer noch schlafen, noch schwerfällig im Konservativen schlummern, in eine andere Richtung zu ziehen, ihre Realität ins Licht zu rücken. Sie haben wie ich genug vom Märchen der Hilflosigkeit.




http://guardianprincesses.com

Freitag, 2. Dezember 2016

Türen Die Verführen // 2

Der Polyträumer Adventskalender öffnet seine Pforten für euch!
Heute: Mal so abstrakt und ganz ohne wertend klingen zu wollen übers Erwachsenwerden und Hirnforschung nachgedacht.




Bin ich ohne meine Werte wertlos?

Und wo kommen meine Werte her?

Ich sauge sie schon seit Zellhaufen-Zeiten aus allem, das mich umgibt, ich beobachte, und nehme mir ein Beispiel, nein unzählige Beispiele. Nur die, die mir gefallen, nehme ich in mein Lebenskonzept auf, meistens unbewusst. Die Idee von dem was ich und wer ich bin, könnte nicht in meinen Synapsen existieren ohne die Welt, die mich umgibt, ohne die Leben, die meines streifen, oder es infiltrieren, oder es beengen oder es schätzen. Die Idee davon, wer ich sein will, formt sich je nach den Werten, die mich umgeben, nach den Menschen, die für mich wert-voll sind. 

In der Jugend bedrängt mich das Leben in einer Umgebung, die ich mir nicht ausgesucht habe, mit Werten, die mich drangsalieren, und dann: die große Freiheit, das eigene Aussuchen von Werten und Menschen die es -wert- sind, sie kennen zu lernen. Eine höchstkomplexe Angelegenheit.

Ich stehe in Beziehung, also bin ich. Und doch bin ich beziehungsweise allein, mit der Entscheidung: Wie wertvoll sind meine Werte?






Türen Die Verführen // 1

Der Polyträumer Adventskalender öffnet seine Pforten für euch! Heute: ein Akrostichon macht ganz unpolitisch auf dicke Hose.



Am Anfang findet Anklang

Nur nicht wieder verlieren

Ganze ratlose Nächte lang

Ergießt sich Gedanke auf Papieren

Regelhaft am Anfang

Erschrocken vor dem Justieren

Gerade so wie ein Wildfang

Tanzend auf allen Vieren




Samstag, 22. Oktober 2016

STORIES of Istanbul: Ein Abschiedsbrief.




 Dieser Text wurde auf ze.tt veröffentlicht und kann auch dort nachgelesen werden: http://ze.tt/abschiedsbrief-an-istanbul-leb-wohl-meine-grosse-liebe/


Mein geliebtes Istanbul,
mit schwerem Herzen schreibe ich dir diese Zeilen, denn es ist Zeit für mich, von dir Abschied zu nehmen. Hinter mir liegt das wohl schönste und aufregendste Jahr meines Lebens. Vor dem Beginn meiner Erasmus-Zeit dachte ich, die zwei Semester bei dir würden nur eine Art Urlaubsflirt werden. Sie waren mehr, ich blieb länger, jetzt muss ich gehen.
Für mich warst du Liebe auf den ersten Blick. Du hast mich begrüßt mit deiner wärmenden Sonne, die sich auf dem Bosporus widerspiegelt und mir Sommersprossen ins Gesicht zaubert. Du hast mich jeden Morgen geweckt mit dem Kreischen der Möwen und dem Gesang des Imam, hast mir den Start in den Tag mit Tee und Simit auf der transkontinentalen Fähre versüßt, hast mich geführt, durch deine hügeligen Straßen.
Du hast mir das Feilschen auf dem Markt und das lässige Knabbern von Sonnenblumenkernen beigebracht, hast mich in die Welt des Backgammons und in die der Kunst des Kaffeesatz-Lesens eingeführt. Du hast mich in deine chaotische Verkehrswelt mitgenommen. Faltige Gesichter von alten Damen, die aus ihrem Fenster dem Straßenhändler Körbe herunter gleiten lassen, gepiercte Gesichter von Männern, die an ihrem Schnurrbart zwirbeln, die Gesichter von jungen Mädchen, deren lila Haare in Zigarettenrauch gehüllt funkeln und sonnengebräunte Gesichter von Lastenträgern auf der Straße – du zeigtest dich mir in all deinen Facetten.
Ich habe mich dir so nah gefühlt, auch in Zeiten, in denen du mir deine dunklen Seiten offenbartest. Denn neben deinen süßen Feigen und der salzigen Meeresluft hast du mich auch das ätzende Aroma von Tränengas auf Demonstrationen schmecken lassen. Viele deiner Bewohner*innen hast du immer wieder sehr ungerecht behandelt, wir stritten plötzlich immer öfter. Hatten verschiedene Meinungen über Demokratie und Menschenrechte.
Es schien mir oft, als seist du innerlich zerrissen, wie eine gespaltene Persönlichkeit zwischen Historie und Moderne, zwischen Konservativem und Liberalem. Vielleicht werde ich deinen inneren Konflikt nie vollständig verstehen können, kann ich ihn doch nur im Rahmen meines eigenen Werte-Kompass‘ betrachten. Unsere Beziehung war nicht immer eine einfache, ich möchte die Zeit mit dir gegen nichts in der Welt eintauschen, aber nun ist es erstmal vorbei zwischen uns.
Du gabst mir das Gefühl, zu deiner geheimnisvollen Komplexität dazu zu gehören, ein Teil zu sein von deiner Geschichte. Ich war bei dir am richtigen Ort. Du warst meine zweite Heimat.Durch dich lernte ich mich selbst besser kennen. Ich untersuchte meine Identität, hinterfragte meine Rolle als Weltbürgerin. Mit vorsichtiger Geduld hast du mir gezeigt, wie ich als westliche Ausländerin wahrgenommen werde, und welch unverdienten Privileg ich in Form meines deutschen Passes bei mir trage. Vor allem hast du mir beigebracht, zuzuhören, den Geschichten von türkischen und syrischen Freunden zu lauschen und du hast mir geholfen zu realisieren, dass in manchen Situationen mein offenes Ohr wichtiger ist, als das, was ich sage.
Jedoch, in den letzten Wochen hast du dich verändert, ich erkenne dich kaum wieder. Deine melodischen Imam-Gesänge haben sich in politische Parolen verwandelt. Auf deinen Straßen, durch die ich einst so gern wandelte, fühle ich mich nicht mehr wohl, manchmal sogar unsicher. Deine entspannte Mittelmeerstimmung ist nun aufgeheizt, und deine sonst eher unterschwellige Tendenz zur Gewalt hat Überhand genommen. Deine Lieblingsfarbe Rot hat eine neue Bedeutung bekommen, sie steht für das Blut, das vergossen wurde und leuchtet auf deinen Flaggen in jeder Straße. Du bist nicht mehr die Stadt, in die ich mich verliebt hatte, und du merkst selbst, wie wir uns auseinander gelebt haben.
Es schmerzt mich, dich so zu sehen. Die Krise, die du durchmachst, hat auch mich verändert. Ich bin schreckhaft geworden, wenn ich Flugzeuge höre, ich bin misstrauisch geworden gegenüber Unbekannten und ich traue mich nicht mehr, meine Lieblingslieder aus Gezi-Zeiten auf voller Lautstärke zu hören. Ich vergesse, meine Schuhe anzuziehen, wenn ich nach draußen gehe und wenn mich Leute fragen, wie es mir geht, wechsele ich schnell das Thema. Ich bin müde von den schlaflosen Nächten, die du mir beschertest. So gern würde ich dir helfen, dich selbst wieder zu finden, doch ich weiß, dies ist ein Prozess, den du allein durchleben musst. Darum habe ich beschlossen, dass es schon jetzt Zeit für mich ist, dich zu verlassen.
Ich wünsche dir das Beste für die ungewisse Zukunft, die dich erwartet, und werde immer an dich denken, wenn ich das Tattoo von dir auf meiner Haut betrachte. Ich werde dich immer lieben und hoffe, wir können eines Tages wieder zusammen sein.
In Liebe,
deine Sabina